Überstunden – Sind sie ein Gang zum Anwalt wert?

Die Schlagzahlen haben es erneut bestätigt: Nirgendwo wird so viel gearbeitet, wie in Deutschland. Dabei sind es nicht nur das schlechte Gewissen gegenüber den Kollegen oder die Angst, als Fahnenflüchtling abgestempelt zu werden für die hohe Zahl an geleistet Überstunden verantwortlich. Auch der Chef macht häufig Druck.

Und viele Arbeiter und Angestellte nehmen es zähneknirschend hin, dass ihre Lebenszeit durch den Beruf langsam aufgezehrt wird. Ja, manch einer ist sogar Stolz auf seine hohe und überdurchschnittliche Zeit im Büro.

Wann immer ich sehe, wie so ein pflichtbewusster Mensch mit stolzgeschwellter Brust von seinen “Arbeitszeiten” berichtet, stelle ich mir folgendes Szenario am Ende seines Lebens vor…

Guter Freund: “Ah, der Ruhestand tut richtig gut. Mit den Enkelkindern spielen ist genau so schön, wie ich es mir vorgestellt habe… Genießt du deinen Feierabend genau so sehr?”

Angestellter: “Ich würde ja… aber ich habe leider keinen guten Kontakt zu meinen Kindern, darum ist es jetzt schon ewig her, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe. Meine Enkelkinder habe ich noch nie gesehen.”

Guter Freund: “Was? Wieso das denn nicht?”

Angestellter: “Ich hatte nie wirklich viel Zeit für meinen Sohn. Ich hab ziemlich viel im Büro gesessen, weil mein Chef mir so viele Projekte übergeben hat. Die meisten hatten eine enge Deadline, da bleibt man halt mal länger am Arbeitsplatz.”

Guter Freund: “Verstehe. Aber das kann doch nicht dein ganzes Berufsleben so gewesen sein.”

Angestellter: “Nein, irgendwann habe ich weniger Arbeiten wollen, weil ich wegen Burn-Out schon zwei Mal im Krankenhaus gelandet bin. Aber mein Vorgesetzter hat gesagt, wenn ich nicht ‘inoffiziell’ mehr übernehme, dann sieht es mit meiner Gehaltserhöhung schlecht aus. Eine Führungskraft arbeitet halt auch mehr als die erlaubten 60 Stunden die Woche.”

Guter Freund: “Wieso bist du nicht zu einem Rechtsanwalt in Peine gegangen? Mensch, du kannst nicht mal mehr Tennis spielen, weil dein Rücken völlig krumm ist. Und jede Woche erzählst du mir, wie sehr deine Gelenke weh tun. Wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, hätte ich mich zumindest irgendwann einmal bei einem Anwalt informiert.”

Angestellter: “Du bist nicht der erste der mir das sagt… Burn-Out, 10 Jahre kürzere Lebenserwartung, Ehe kaputt und meine Enkel kennen mein Gesicht nicht mal… und das alles für einen größeren Schreibtisch und Geld, das jetzt auf der Bank versauert, weil ich es nicht ausgeben kann.”

Wenn man sich erst einmal so einen Dialog vor Augen hält und merkt, dass man selbst vielleicht in so einer Situation endet, nur damit sich Chef und Kollegen freuen, dann klingt es auf einmal gar nicht wie eine schlechte Idee, sich bei einem Anwalt zu informieren, ob man wirklich zu noch mehr Überstunden gezwungen werden darf.